Die verrückte Geisternacht





Leseprobe


Auf dem Heimweg von einem lustigen Halloween-Abend mit seinen Freunden wird Nico von einem unheimlichen grauen Nebel umhüllt, der ihn in ein Gespenst verwandelt.
Von Lollo, einem Gespenstermädchen, das ihn in die Welt der Geister einführen soll, erfährt Nico, dass er für immer ein Gespenst bleiben wird, sollte es ihm nicht gelingen, sich vor Sonnenaufgang wieder in einen Menschen zu verwandeln.
Nico bleiben nur die 12 Stunden der Nacht, um diese scheinbar unmögliche Aufgabe zu bewältigen ...




Während Nico und Lollo auf das alte Gemäuer zuflogen, wehte ihnen laute Musik und fröhliches Lachen entgegen.
Die Burg war vor einigen hundert Jahren auf einer Felsterrasse erbaut worden. Doch von dem einstmals stolzen Gebäude waren nur einzelne verfallenen Mauerstücke und ein quadratischer Wohnturm erhalten. Versehen mit Erkern, Zinnen und schmalen Schießscharten erhob sich dieser noch immer beeindruckend in den Nachthimmel.
Nico folgte seiner Begleiterin zögerlich durch das offene Tor ins Innere der Burgruine.
Das erste, was er in der hohen Halle sah, war die verrückteste Band, die er jemals erlebt hatte. Fünf wilde Poltergeister-Punker hüpften völlig durchgeknallt auf ein paar Kisten herum, die ihnen als Bühnenersatz dienten. Ihre Frisuren waren genauso wild wie ihre bemalten Gesichter. Zudem steckten merkwürdige Gegenstände in ihren Nasen, Ohren, Wangen und Lippen. Das sollten wohl Piercings sein, allerdings hatten sie dafür reichlich ausgefallene Sachen verwendet. Nico erkannte Stricknadeln, Korkenzieher, eine abgebrochene Autoantenne, Christbaumschmuck ... Mehr wollte er gar nicht sehen.
Die Musikinstrumente, auf denen sie spielten, waren nicht weniger sonderbar. Blecheimer dienten als Schlagzeug, eine Faschingströte und eine löchrige Gießkanne als Blasinstrumente. Einzig die Gitarre wirkte relativ normal, allerdings war sie nur noch mit zwei Saiten bespannt. Der fünfte der Band schüttelte sich ständig wie ein wild gewordenes Rumpelstilzchen. Dabei stieß er schrille Töne aus, die vermutlich ein Lied sein sollten.
Zum ersten Mal traf Nico hier auch auf Energiegeister. Von Lollo wusste er, dass ihre Energie aus menschlichen Lichtquellen stammte. Die Menschen wunderten sich immer, wenn ihre Lampen plötzlich flackerten. Keiner ahnte, dass in diesem Moment winzige Geister ein Festmahl abhielten und dabei ihre Energiespeicher auffüllten.
Staunend betrachtete Nico die unzähligen Winzlinge, die kleinen Flammen glichen und im Takt der Musik durch die Halle zuckten. Einige von ihnen hatten sich in der Höhe zu einer funkelnden runden Wolke vereint, die Nico an eine dieser Discokugeln von früher erinnerte.
Nicht weniger verrückt als die Band war eine Bar, die in einer Ecke der Halle aufgebaut war. Hier wurden undefinierbare Getränke in sehr sonderbaren Trinkgefäßen verkauft: Konservendosen. Tassen. Schuhe. Die Gespenster prosteten sich lachend zu und schütteten die Flüssigkeiten in sich hinein. Kopfschütteln sah Nico, wie diese einfach durch die Geistern hindurch liefen und unter ihnen dunkle Pfützen bildeten.
Was sollte das? Wollten die Gespenster etwa Menschen nachahmen?
Während die 5 Möchte-Gern-Musiker mit schrillen Tönen und großer Leidenschaft einen Song nach dem anderen spielten, tobte sich eine Horde hüpfender Geister auf der Tanzfläche aus. Am wildesten trieb es Pimpf, das riesige Wackelgespenst, das Nico gleich zu Beginn seiner Gespensterzeit auf der Straße gesehen hatte. Während es sich schaukelnd und schwankend an einer Brake-dance Variante versuchte, kullerten seine einzelnen Körperteile ständig über die Tanzfläche. Auch die Ritterrüstung aus dem A-F-Ü-B erkannte Nico sofort wieder. Jetzt hatte sie das Visier hochgeklappt und zeigte ein lachendes, rußgeschwärztes Gesicht.
"Was ist denn mit dem passiert?", wandte sich Nico an Lollo. "Hat der beim Würstchen-Grillen nicht aufgepasst?"
"Du meinst Hardy?", kicherte Lollo. "Sein richtiger Name ist übrigens Harthum von Drachenkuss. Er hat irgendwann im Mittelalter versucht, seinen Mut zu beweisen, indem er einen Drachen küsst. Was ihm wohl schlecht bekommen ist."
Jetzt stand der tapfere, küssende Hardy am Rand der Tanzfläche und hatte sich bei zwei weiteren Rüstungen untergehakt. Gemeinsam schunkelten und grölten sie mit der Band um die Wette.
In den tiefen Mauernischen saßen weitere Gespenster, die belustigt das Geschehen beobachteten oder in Gespräche vertieft waren. Andere vertrieben sich die Zeit mit Karten- oder Würfelspielen.
In einer der Nischen bemerkte Nico ein Pärchen, das sich verliebt an den Händen hielt. Ein ungewöhnliches Paar. Er sah aus wie ein verwegener Pirat mit langen Zottelhaaren, die von einem schwarzen Totenkopf-Stirnband gehalten wurden. Sie wie eine wunderschöne Fee. Eine Fee, die Nico merkwürdig bekannt vorkam.
Gerade als er Lollo darauf aufmerksam machen wollte, brach die Musik mit einem schrillen Misston ab. Die Tänzer erstarrten in ihren wilden Zuckungen. Alle Augen hefteten sich auf Nico.
"Was will der hier", fauchte ein dürres Nachthemdgespenst und zeigte mit krummen Fingern auf Nico. "Vampire haben hier nichts verloren. Verschwinde, oder ..."
Fauchend und stöhnend schlurfte die Gespensterschar auf ihn zu. Ihre schwarzen Augen schienen ihn zu durchbohren. Eine erste Hand griff bedrohlich nach ihm, als sich Lollo rettend zwischen Nico und die wilde Meute schob.
"Lasst ihn in Ruhe, Leute. Er ist kein Vampir. Nur ein umgewandelter Mensch, der in einem Vampirkostüm steckt!", versuchte Lollo die aufgebrachten Gespenster zu besänftigen.
Für eine kurzen Moment hielten sie inne. Dann rückten sie wieder von allen Seiten näher. Misstrauisch beschnupperten sie den Fremden und griffen mit ihren eiskalten Händen nach ihm.
"Er stinkt tatsächlich nicht wie ein Vampir, sondern wie ein Mensch."
"Aber wir wollen ihn trotzdem nicht hier. Er ist anders."
"Verschwinde, du Eindringling. Du hast hier nichts verloren."
"Verschwiiiiinde!" zischten sie im Chor.

 


zurück