Vor ihnen lag ein tiefer, dunkler See, auf dem fahles Licht glitzerte. Um den See herum erstreckten sich die seltsamsten Pflanzen. Manche sahen aus wie Palmen mit dunkelgrünen, eierförmigen Früchten. Andere hatten die Form von kugelrunden Büschen, während sich die Schlingpflanzen am Boden wie Schlangen um ‚Bäume' und andere Gewächse herumschlangen.
Langsam näherten sich Mike und Babs dem endlos tiefen See. "Super! Ein richtiger Urwald!" Mike griff nach dem Ast einer Palme und pflückte sich eine Eierfrucht. "Iss sie lieber nicht!" Babs war aufgesprungen und riss Mike die Frucht aus der Hand. "Du weißt ja gar nicht, was das ist!"
"Typisch Mädchen! Haben immer Angst!" höhnte Mike und grinste Babs an.
"Wir müssen das Heim von dem Dämon finden", sagte Babs. Langsam suchten die zwei den Rand des Waldes ab, in der Hoffnung, einen Weg zu finden."Ich habe etwas!" rief Babs. Zwischen hohem Gras und Büschen zeichnete sich deutlich ein Trampelpfad ab. Vorsichtig betraten sie den Pfad. Er führte immer weiter in den Wald und es wurde immer dunkler. "Meinst du, dass wir auf dem richtigen Weg sind?" fragte Babs ängstlich. Plötzlich hörten sie ein Kichern. Ein kleines Wesen sprang auf den Weg. Es hatte die Größe von einem Kaninchen. Das Wesen war rund und hatte große Augen, ausgesprochen kurze Arme und riesige Füße. Es grinste die Kinder fröhlich an und fragte sie:"Wer seid ihr? Hoffentlich keine Rotschnäbel!"
"Wir sind Menschen. Normale Menschen. Aber wer bist du? Etwa Kugeli?" machte sich Mike über das Wesen lustig. "Aha! Erdlinge! Ich bin ein Füßling und heiße Rolli. Mein Meister hat schon oft von euch Erdlingen erzählt."
"Dein Meister?" fragte Babs. "Aber natürlich! Unser Oberfüßling. Der Meister der Füßlinge. Wir führten Krieg gegen die Rotschnäbel. Ihr Anführer ist der Dämon. Jeder, der von einem anderen Stamm gekommen war, um ihn zu besiegen, ist nie wieder zurückgekehrt. Der Dämon wirft seine Feinde sofort den fleischfressenden Wasserpflanzen zum Fraß vor." Rolli senkte den Kopf und flüsterte: "Vor langer Zeit ist es schließlich meinem Meister als Einzigem gelungen, den Dämon zu fangen und in eine kleine schwarze Dose einzuschließen. Doch heute ist ein Bote mit einer Nachricht gekommen. Der Dämon ist wieder frei und und will aus Rache unseren ganzen Stamm ausrotten." Nach kurzem Schweigen fügte er hinzu: "Kommt! Ich stelle euch meinem Meister vor. Folgt mir!" Schon besserte sich Rollis Laune wieder und er begann zu hüpfen und zu singen.
Der Füßling führte Mike und Babs eine ganze Weile durch den Wald. Babs schmerzten schon die Füße. "Wann sind wir denn endlich da?" schnaufte Mike. Da färbte sich Rollis Gesicht blass. "Wir haben uns verlaufen", gestand er kleinlaut. "Na, das hat uns gerade noch gefehlt!" schimpfte Mike. "Denk nach! Vielleicht fällt dir der Weg wieder ein. Sonst irren wir hier noch herum, wie eine Eule am Tag."
"Da bringst du mich auf eine Idee!" rief Rolli. Der Füßling klatschte zweimal in die Hände. "Und wo bleibt das Wunder?" fragte Mike. "Es kommt schon", erwiderte Rolli und zeigte auf eine Eule, die mit großen Flügelschlägen auf sie zuflog. "Die Eule kennt den Wald besser als ihre Hosentasche. Sie wird uns ganz bestimmt zum Oberfüßling führen." Und zur Eule, die sich inzwischen auf seiner Schulter niedergelassen hatte, rief Rolli: "Führe uns zum Meister!" Der Vogel erhob sich hinauf in die Lüfte und die Freunde folgten ihr. Sicher leitete die Eule den Füßling, Mike und Babs zum Dorf des Oberfüßlings. Sein Haus war mit Edelsteinen verziert, die prächtig glitzerten und funkelten. Drinnen im Haus gab einen großen Saal mit vielen Nebensälen und Marmorsäulen. In dem großen Saal stand der Thron des Meisters. "Ich grüße Euch, Meister Oberfüßling. Hier möchte ich Euch zwei Menschlinge vorstellen", begann Rolli. Der Meister legte seine Zeitung zur Seite. "Danke. Warte draußen, Untertan. Ich möchte alleine mit den Menschlingen reden", befahl der Oberfüßling und schickte Rolli hinaus.
"Was führt euch zu mir, edle Menschlinge?" fragte der Meister.
"Wir haben die schwarze Dose geöffnet und unser Freund wurde das Opfer des Dämons!" erklärte Babs. "Nun wollen wir einen Gegenstand aus seinem Besitz holen, um ihn wieder in die Dose zu sperren."
"Ihr habt den Dämon befreit, so müsst ihr ihn auch wieder einsperren.", erwiderte der Oberfüßling. "Der Dämon wohnt am Grund des tiefen Sees in einer Höhle. Ich schenke euch diesen Platzwechselstab. Ihr müsst euch an dem Stab gut festhalten und fest an den Dämon denken. Dann kommt ihr direkt zu seiner Höhle. Schnappt euch einen Gegenstand aus seinem Besitz und konzentriert euch anschließend in euren Gedanken auf die schwarze Dose. Dorthin wo sie ist, in die Felsenhütte, werdet ihr schließlich wieder gelangen. Sobald ihr den Gegenstand in der Dose verschließt, wird auch der Dämon wieder darin eingeschlossen sein. Der Füßling, der euch hergebracht hat, wird euch bis zum See begleiten. Noch eins: Wenn ihr den Dämon seht, müsst ihr schnell den Stab gegen ihn halten, so kann euch nichts passieren. Und nun geht!" Der Oberfüßling wandte sich wieder seiner Zeitung zu.
Vor der Tür wartete Rolli auf Mike und Babs. "Ich habe alles gehört!" sagte er. "Auf zum See!" Alle drei klammerten sie sich an den Platzwechselstab, um sich an den See zu wünschen. Es war, als ob sie durch einen Strudel in die Höhle gezogen wurden. Immer schneller drehten sie sich im Kreis. Babs sah schon Sterne vor ihren Augen, als sie mit einem dumpfen Schlag auf dem Boden aufschlugen. Vorsichtig hob Babs den Kopf. Sie befanden sich tatsächlich am Ufer des dunklen Sees.
"Da wären wir!" sagte Rolli und klopfte den Staub von seiner Hose. "Den Rest müsst ihr alleine durchstehen! Ich wünsche euch viel Glück. Ihr wisst, dass unser Überleben auf dem Spiel steht!" fügte er leise hinzu. Schnell hüpfte der Füßling auf den Waldrand zu und veschwand hinter einem Busch. "Bringen wir es hinter uns, Babs! Atme tief die Luft ein, denn sie muss uns auf dem ganzen Weg reichen!" Mike versuchte sich und Babs Mut zu machen. "Ich habe schreckliche Angst, Mike! Wollen wir es nicht doch lieber lassen?" fragte Babs ängstlich. "Wir müssen es tun! Denk doch bloß an Chris!" antwortete Mike mutig. "Wenn wir einen Gegenstand haben, wünschen wir uns sofort zur Felshütte zurück. Alles klar, Babs?" Babs nickte. "Also los!"
Mike und Babs hielten sich erneut an dem Stab fest, um die Höllenfahrt ein zweites Mal anzugehen. Beide schlossen fest die Augen und hielten die Luft an. Diesmal setzte der Strudel Mike und Babs in sanftem Wasser ab. Sie waren in der Höhle des Dämon, tief auf dem Grund des Sees. Die beiden durchfuhr ein Schaudern, als sie sich umsahen. Die Wände waren mit Algen und anderen Wasserpflanzen überzogen, die Möbel vom Wasser schon fast aufgelöst. Das Wasser fühlte sich kalt und schaurig an. Zum Glück war weit und breit von einem Dämon nichts zu sehen. Und noch beser war,dass der Fußboden bedeckt war mit Gerümpel. So mussten Mike und Babs nicht lange nach etwas Passendem suchen. Babs griff nach einem kleinen goldverzierten Würfel und schwamm schnell zu Mike, der den Platzwechselstab in der Hand hielt. Plötzlich brauste schwarzer Rauch mit einem hässlichen Lachen in die Höhle hinein. Der Dämon! Als er Mike und Babs erblickte, fing er an zu schimpfen und stürzte sich auf sie. Gerade als er zupacken wollte, wünschten sich Babs und Mike zurück in die Felsenhütte zu ihrem Freund Chris und der schwarzen Dose. Noch im Strudel hörten sie das Schimpfen des Dämons hinter sich.
Unsanft fielen sie direkt in das Chaos der Hütte. "So etwas Ekelhaftes!" schrie Babs, als sie zwischen den vergammelten Essensresten landete. "Lass doch!" meinte Mike. "Jetzt ist es wichtiger, den Dämon einzusperren, damit Chris wieder lebensfähig wird." Babs fischte den Goldwürfel aus ihrer Tasche und ließ ihn vorsichtig in die schwarze Dose fallen. Sofort zuckten einige Blitze in der Hütte und kreischender, schwarzer Rauch schoss direkt in die Dose hinein. "Klack." Wie von Geisterhand klappte der Deckel der Dose zu. Vorsichtig nahm Babs die Hand von den Augen. Der Spuk war vorbei und alles wieder ruhig. "Geschafft!" sagte sie erleichtert. Nun wandten sich Babs und Mike Chris zu. Er lag immer noch unverändert mit geschlossenen Augen am Boden.
Stimmte es etwa nicht, was in dem Buch geschrieben war?
Würde Chris vielleicht nie wieder zum Leben erwachen?
Babs schossen fürchterliche Gedanken durch den Kopf. Sie packte Chris an beiden Schultern und schüttelte ihn kräftig. "Wach doch auf!" wimmerte sie. Langsam öffnete Chris die Augen. Er zitterte am ganzen Leib und stotterte: "Wo bin ich? Was ist denn los?"
"Ach, du brauchst keine Angst mehr zu haben, Kumpel." Mike grinste überlegen. "Der Dämon ist wieder im Döslein."
"Welcher Dämon?" Chris richtete sich erstaunt auf. "Ich weiß nur noch, dass Mike uns eine angebliche Abkürzung für unsere Wanderung versprochen hatte. Was war denn dann los? Jetzt erzählt mir aber alles!"
Und Babs begann zu erzählen. Ihr Abenteuer sprudelte nur so aus ihr heraus, und schließlich meinte sie: "Auf einem Schulausflug ist also doch was geboten,Mike!"
"Also, wenn wir gerade beim Thema ‚Ausflug' sind. Wie kommen wir eigentlich wieder nach Hause?", fragte Chris. "Der Platzwechselstab", riefen Mike und Babs wie aus einem Mund. Die drei Freunde hielten sich an dem Stab fest und wünschten sich nichts mehr, als zu ihrer Klasse zu gelangen. Durch den Strudel landeten sie genau auf ihren Sitzplätzen im Bus. Gerade ging ihr Lehrer durch die Reihen, um die Kinder zu zählen. "Ah, Mike, Babs und Chris! Euch habe ich heute sehr selten gesehen! Ihr müsst nicht immer so weit hinten gehen." Er schmunzelte ihnen zu und ging weiter.