Die verlorene Zeit

9. Fortsetzung von Andreas
Sie befanden sich in einer auf den ersten Blick ganz normalen Straße. Doch auf den zweiten Blick sahen sie, dass sich auf der Straße keine Menschen, sondern Hexen, Zauberer, Feen und Elfen befanden. Auch gab es keine Autos.
Die Feen und Elfen flogen einfach durch die Straßen und die Hexen hatten teilweise sehr interessante Fluggegenstände. Manche flogen noch auf ganz gewöhnlichen Besen, andere wiederum ritten auf Staubsaugern und wieder andere hatten total ausgefallene Gegenstände.
Plötzlich kam ihnen eine Hexe auf einer bockenden Teekanne entgegen. Mike und Babs konnten sich gerade noch rechtzeitig wegducken.
Die Hexe drehte sich auf der Teekanne um und rief: "Oh, I'm sorry! My tea is very silly. Goodby!" (Deutsch: Oh, Entschuldigung! Mein Tee ist sehr verrückt. Tschüs!)
"Hast du das verstanden?", fragte Babs.
"Ein bisschen! Die kam aus England, das erklärt dann auch die Teekanne", antwortete Mike.
Als der Schock überwunden war, sagte Mike: "Schau mal, Babs. Ein Supermarkt!"
Sie zögerten nicht lange und gingen hinein.


Doch es war kein normaler Supermarkt mit Spielzeugabteilung, Lebensmittelabteilung etc., sondern sie standen direkt vor riesigen Regalen mit Gläsern, in denen sich ‚Augäpfel', ‚Fliegenblut', ‚Affenpipi' und andere eklige Dinge befanden.
Im Einkaufscenter befand sich auch eine Imbissbude.
Babs wurde es fast schlecht, als sich eine kugelrunde Hexe ein riesiges, schleimiges Stück Drachenhirn in den Mund drückte und nebenher einen Wurmcoctail trank.
Als sie dann auch noch sahen, wie der Inhaber der Bude, ein junger Zauberer mit langem blaugrünem Haar, einen Wurm auspresste und das Ausgepresste in Teig hüllte, wurde es ihnen zu viel und sie verließen den Laden.
"Da geh ich nie wieder rein!", sagte Babs empört. "Das ist ja eklig."
"Ich schätze, wir müssen! Oder hast du den Budentyp nicht gesehen? Der hat die Ziffer um den Hals", entgegnete Mike.
"Aber zuerst suchen wir nach dem Zaubergegenstand", sagte Babs. "Und ich weiß auch schon wo."
Sie zeigte auf ein riesiges Gebäude, auf dem mit abblätternden Goldbuchstaben geschrieben stand: ‚Schule. Hier sind ihre kleinen Hexen, Zauberer, Feen und Elfen in besten Händen.' Das ließ sich Mike nicht zweimal sagen und sie betraten die Schule. Anscheinend war gerade Unterricht, denn es war niemand auf den Gängen zu sehen. Sie liefen zur nächstbesten Klasse mit Hexen, Zauberern, Feen und Elfen.
"Jetzt passt mal gut auf", sagte die Lehrerin und zog einen Wurm aus einem Glas. "Ich zeige euch jetzt einen wichtigen Zauberspruch. Zuerst vergrößere ich den Wurm, damit ihr besser seht, was passiert."
Sie hob die Hände in die Höhe und der Wurm wuchs. Als er ungefähr die Größe eines Menschen erreicht hatte, schrie die Hexe: "Sim Dim Akazimm!", und der Wurm explodierte.
Als sich der Rauch verzogen hatte, befanden sich an der Stelle, an der gerade noch der große Wurm gestanden hatte, mindestens tausend kleine Würmer. Mike und Babs schlossen leise die Tür und liefen zum nächsten Zimmer. Aus ihm kamen wunderschöne Klänge. Sie sahen hinein und erblickten eine goldene Harfe, die alleine spielte und dazu sang. Ein Zauberer saß, begeistert von dieser Melodie, hinter seinem Pult und lächelte seine Klasse an.
"Die Harfe! Die Harfe ist unser Zaubergegenstand", flüsterte Mike.
"Ja, das ist eine gute Idee", antwortete Babs leise. "Aber wie sollen wir da rankommen?"
Mike sagte nur ein Wort: "Pause!"
Als hätte er es geahnt, klingelte eine Glocke und alle Schüler und Lehrer stürmten aus dem Klassenzimmer. Mike und Babs gingen in das Klassenzimmer.
"Und was, wenn uns jemand erwischt?", fragte Babs.
"Ich glaube, ich weiß schon was", antwortete Mike und zeigte auf eine Flasche, auf der ‚Magie in Flaschen' stand. Mike griff danach und trank einen großen Schluck. Es war ein komisches Gefühl, das seinen Körper durchströmte.
"Gemeines Diebesgesindel!", schrie eine Stimme.
Mike und Babs wirbelten herum und sahen den Lehrer.
"Sim Dim Akazimm!", schrie Mike und zeigte auf den Lehrer. Dieser explodierte und ließ ca. 1000 kleine Lehrerchen zurück.
Babs griff nach der Harfe und sie rannten davon.
"Hinterher", schrie eine piepsige Stimme hinter ihnen und alle Lehrerchen rannten ihnen hinterher. Sie konnten gerade noch rechtzeitig die Schultür zuschlagen und entkommen.
"So", sagte Mike. "Jetzt fehlt nur noch die Ziffer."
Also gingen sie, trotz aller Proteste von Babs, zu der Imbissbude. Sie setzten sich und bestellten ‚Drachenhirn'. Als der Zauberer servierte und das Geld entgegennehmen wollte, schrie Mike erneut: "Sim Dim Akazimm!"
Doch leider vergaß er, auf irgend jemanden zu zeigen. Sofort tat es einen riesigen Knall und alle, die sich im Supermarkt befanden, einschließlich Babs, wurden zu winzig kleinen Leuten in Mehrfachausfertigung.
"Was soll ich jetzt machen?", heulte eine kleine Babs am Boden. Mike legte schnell die Hände über die kleinen Babsen und hob sie langsam in die Höhe. Sofort vereinten sich alle kleinen zu einer großen Babs. Sie griff schnell nach der am Boden liegenden Ziffer, welche in Originalgröße geblieben war, und alles löste sich im Strudel auf. Sie waren, abgesehen von allem anderen, heilfroh, nicht mehr den Gestank von gebackenen Würmern und eingelegten ‚Trollköpfen' riechen zu müssen.

Überleitung von Astrid Nagel :

Im Vergleich dazu erschien ihnen sogar die muffige Luft in der Dachkammer wie eine frische Sommerbrise.
Unter den neugierigen Blicken von Schillerauge stellte Mike die Harfe direkt neben den Kochtopf, in dem sich der magische Strudel unermüdlich drehte.
"Auf geht's", sprach er sie forsch an. "Jetzt lass mal was Fetziges hören!"
Nichts geschah. "Hey, mach schon", drängte Mike ungeduldig und versetzte der Harfe einen kleinen, fordernden Schubs - doch wieder blieb sie stumm.
Während Mike das bockige Instrument immer heftiger schüttelte, weckte Babs den Zeitkristall.
"Halt ein, oh du Wicht, denn so wird's nicht gelingen!",
stoppte dieser aufgebracht den tobenden Mike.
"Mit Zorn bringst die Harfe du niemals zum Klingen.
Du musst sie umhegen, du musst sie verwöhnen,
dann dankt sie es dir auch mit magischen Tönen."
"Soll ich das Ding etwa streicheln?", maulte Mike verdrossen. "Das ist doch total uncool."
Während er noch verdattert zögerte, strich Babs bereits sanft mit ihren Fingern über das glatte Holz der Harfe.

Sofort begannen ihre Saiten zu vibrieren und schon bald erfüllte eine himmlische Melodie die triste Dachkammer. In gleichem Maße, wie die magischen Töne anschwollen, verstärkte sich auch der Strudel.
"Wow!, staunte Mike. "Diese Töne haben's echt in sich. Hm, da kommt mir eine total irre Idee. Vielleicht können sie ja auch bei Chris etwas bewirken."
Er klemmte sich das Instrument unter den Arm und eilte, dicht gefolgt von Babs, die Treppe hinunter. Entschlossen stellte er die Harfe neben Chris, der noch immer erstarrt vor dem Kamin kauerte, und fing an, sie zu streicheln. Schon bald erfüllten ihre herrlichen Töne den Raum mit ihrer Magie.
Mike und Babs wagten kaum zu atmen. Endlose Minuten verstrichen. Und dann, als sie die Hoffnung schon aufgeben wollten, geschah es tatsächlich: Chris bewegte sich. Stöhnend streckte er seine verspannten Glieder, blickte erstaunt zu seinen Freunden hoch und fragte, als sei nichts geschehen: "Was ist denn los? Warum starrt ihr mich so an?"
"Hey, Alter, das ist echt krass", stammelte Mike von seinen eigenen Gefühlen überwältigt. "Wir dachten schon ..."
Weiter kam er nicht.
Ein schauriges Kreischen erfüllte die Luft. Wie ein vernichtender Wirbelsturm raste eine graue Gestalt auf sie zu und türmte sich vor ihnen auf: Es war der Zeitengeist. Und er war wütend. Unglaublich wütend.
"Ihr führt etwas im Schilde, das spüre ich!", donnerte er zornig auf die entsetzten Freunde herab. "Aber nun ist Schluss damit. Zuerst werde ich diese widerlichen Misstöne zerstören, und dann euch Ungeziefer!"
Ein giftgrüner Strahl schoss aus seiner ausgestreckten Hand. Zischend traf er die Harfe, deren Saiten unter leisem Klirren eine nach der anderen zersprangen. Im selben Augenblick, als ihre magischen Töne verstummten, erstarrte Chris erneut.
"Und jetzt", brüllte der Zeitengeist und funkelte Babs und Mike hasserfüllt an, "seid ihr an der Reihe ..."
"So tu doch was", stammelte Babs und klammerte sich an ihren Freund. Mike überlegte fieberhaft. Was konnte er schon gegen den Zeitengeist mit seiner zerstörerischen Magie ausrichten. Magie! Halt, das war vielleicht ihre Chance!
Entschlossen streckte er seine Hand dem grässlichen Dämon entgegen. "Sim Dim Akazimm", sprach er forsch und hoffte dabei inständig, dass der Schluck Zaubertrank, den er zuvor getrunken hatte, noch immer wirkte.
Im selben Augenblick schoss der grüne Strahl aus der Hand des Geistes auf die Kinder zu. Auf halbem Weg prallte er jedoch gegen ein unsichtbares Hindernis. Es war der Zauberstrahl aus Mikes Hand und ein erbitterter Kampf zwischen den beiden magischen Kräften entbrannte.
"Sim Dim Akazim", presste Mike ein zweites Mal hervor. Seine Hand zitterte bereits unter der enormen Anstrengung, doch er gab nicht nach. Mit all seiner Willenskraft drängte er den grünen Strahl Stück für Stück zurück. Das hässliche Gesicht des Geistes verzog sich zu einer erstaunten Grimasse, als Mikes Zauberstrahl ihn schließlich erreichte und explosionsartig in eine Wolke winziger kleiner Geisterchen zersprengte.
"Verdammte Teufelsbrut", quietschten die Geisterchen zornig im Chor. "Wir werden wiederkommen. Vereinigt und stärker als zuvor. Und dann werdet ihr vernichtet."
Unter wütendem Zischen verschwand die Wolke.
"Puh, das ist ja gerade noch mal gut gegangen", seufzte Mike erleichtert. "Jetzt sollten wir aber zusehen, dass wir die letzten Ziffern finden bevor der fiese Typ zurückkommt. Außerdem müssen wir noch klären, wie wir ihn dann durch den magischen Strudel endgültig entsorgen können."
Sie hasteten zum Dachboden und weckten den Zeitkristall mit einem lauten "Simbradadu."
"Der Strudel ist fertig. Aber wie können wir den Geist hinein locken?", fragte Babs besorgt. "Er ist misstrauisch geworden und wird die Falle sicher bemerken."
Das Schweigen des Kristalls schien Ewigkeiten zu dauern und als er schließlich antwortete klang es alles andere als zuversichtlich:
"Ich habe dies leider zuvor nicht bedacht,
doch Locken von Geistern - das sprengt meine Macht."
"Aber wie soll es nun weitergehen?", drängte Babs verzweifelt.
Wieder verstrichen bange Minuten bevor der Zeitkristall endlich fortfuhr:
"Ich hörte von einem erstaunlichen Buch,
sein Titel: ‚Verlockung durch magischen Fluch'.
Die Klügsten der Klugen nur können es lesen,
drum sucht es bei diesen besonderen Wesen.
Wollt ihr alles wissen und alles verstehn,
dann geht zu den Wesen der Welt Nummer zehn.
Dort ist eine Schule, doch seid auf der Hut,
gebraucht euer Köpfchen und handelt mit Mut."
Voller Zuversicht traten Babs und Mike ihre Reise zur 10. Welt an. Ein Buch in einer Schule zu finden, das konnte ja nun wirklich nicht allzu schwer sein. Doch als sie ihr Ziel erreicht hatten und sich erstaunt im Klassenzimmer umsahen, erkannten sie sofort ihren großen Irrtum. Niemals zuvor hatten sie solche Schüler gesehen und niemals zuvor solche Lehrer ...







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