9. Fortsetzung von Sebastian Krieg

Das Geheule war unheimlich.
Tamara wisperte: "Bei der Dunkelheit gehe ich keinen Schritt weiter!"
Nik sagte: "Kennst du den Song nicht? Ich sehe den Lichtschein am Ende des Tunnels?"
"Nein", antwortete Tamara. "Aber ich sehe jetzt zwei leuchtende Punkte da oben!"
"Jetzt sehe ich es auch", flüsterte Nik ängstlich. Sie gingen langsam darauf zu und sahen eine Schneeeule.
Die Eule flog auf die Kinder zu und krächzte: "Ihr habt mich entdeckt, so muss ich euch aus dem Wald führen." "Nein, wir brauchen doch den Zweig des Zauberbaumes", entgegnete Tamara. Die Eule wisperte: "Oje, durch den Wald der Finsternis kommt ihr nur mit Hilfe einer weißen Feder, denn die knorrigen Bäume werden zu gruseligen Dämonen und furchterregenden Fabeltieren. Die Feder gibt euch Licht und wirkt magisch wenn ihr in Gefahr seid."
"Und weißt du auch wo sich der Zauberbaum befindet?", fragte Nik.
Die Eule heulte: "Geht nicht vom Weg ab, wenn ihr auch verfolgt werdet, solange bis ihr den weißen Lichtvogel über euch fliegen seht. Dann wird es hell und ihr könnt den Baum mit den goldenen Ästen sehen. Jetzt ist es dunkel, weil der schwarze Vogel der Finsternis über euch schwebt. Wenn ihr ohne Angst und mit Mut und Zuversicht durch den Wald wandert, dann erst wird der schwarze Vogel über euren Köpfen verschwinden."
Die Eule flog weg. Sie hörten wieder das unheimliche Heulen. Nun beschlossen die beiden mutig und zuversichtlich vorwärts zu gehen. Nach wenigen Schritten bewegte sich ein knorriger Baum auf sie zu, als ob er lebte. Mit seinen Zweigen, die wie Krallen aussahen, umklammerte er Tamara's Arm. Sie schrie auf. Nik beruhigte sie: "Hab keine Angst, wir haben doch die Feder."
Er berührte damit den Baum und der stand wieder starr da. Sie hoben die weiße Feder hoch, damit sie ein wenig leuchten konnten um etwas zu sehen. Vor ihnen bewegte sich plötzlich ein riesiges Ameisentier mit mindestens 15 Beinen. Tamara und Nik bewegte sich nicht und ließen das Tier vorbeiziehen. So ging es den ganzen Weg entlang. Sie hielten sich immer an den Händen, und so hatten sie keine Angst mehr. Plötzlich wurde es hell. Sie sahen den weißen Vogel über sich fliege und hörten eine hohle Stimme. Gleichzeitig sahen sie auch den goldenen Baum. Der sprach: "Brecht mir bitte den dürren goldenen Ast ab, damit wieder ein neuer wachsen kann. Dafür bekommt ihr den goldenen Schlüssel. Damit könnt ihr durch meine Baumtür zurück in eure Welt gelangen."
Nik überlegte nicht lange und brach den Ast ab. Schon lag der Schlüssel vor ihm. Tamara jauchzte: "Das ist bestimmt der neunte Schlüssel." Sie gingen durch die Baumtür und standen wieder im verwunschenen Haus. Nik hielt den goldenen Ast in der Hand. Tamara hielt den Schlüssel, der diesmal aus Gold war.
Neun mahnende Glockentöne hallten ihnen entgegen - und die nörgelnde Stimme des magischen Buches: "Da seid ihr ja endlich, ihr Saftschnecken. Hat ja ewig gedauert. Und was für einen mickrigen Ast ihr mitgebracht habt! Wenn man nicht alles selber macht ..."
Doch die Kinder achteten nicht auf sein ewiges Gemecker. Während Tamara beim Eingangstor das Schloss für den neunten Schlüssel suchte, trat Nik an den Kessel und machte sich daran, den zähflüssigen Brei mit dem goldenen Ast umzurühren. Augenblicklich begannen sich die übelriechenden Klumpen aufzulösen und schon bald brodelte eine glasklare goldenschimmernde Flüssigkeit im Topf.
"Was jetzt", fragte Nik ungeduldig und legte erschöpft den Ast beiseite. "Wir haben nicht mehr viel Zeit."
"Nun, dann solltet ihr euch mit den letzten beiden Zutaten etwas beeilen", brummte das Buch unwirsch. "Wie ich schon sagte, benötigt ihr noch die Mächte der Zeit und der Finsternis. Beginnen wir mit der Zeit. Hört gut zu."
Raschelnd öffnete es sich und wie schon so oft zuvor erklang die liebliche Stimme aus seinem Innern:
"Die reinen Kräfte der Natur
vertreiben Geister - aber nur
für einen kurzen Augenblick,
denn dann kehr'n sie mit Macht zurück.
Allein die dreifach Kraft der Zeit
Verbannt sie in die Ewigkeit."
Geräuschvoll klappte das Buch zu. "Ich nehme nicht an, dass ihr irgendetwas verstanden habt?", fragte es ohne große Hoffnung. Nik und Tamara schüttelten stumm ihre Köpfe.
"Also, dann passt mal genau auf: Wenn ihr den Dämon nicht nur für einen kurzen Moment sondern für immer vertreiben wollt, muss der Zaubertrank Zutaten aus allen drei Zeiten enthalten. Wir haben schon genug Dinge aus der Gegenwart, wie die Drachenspucke zum Beispiel oder die Tränen. Auch mit der Vergangenheit kam unser Zaubertrank bereits in Berührung, denn der Ast, den ihr mitgebracht habt, ist über viele Jahre hinweg gewachsen. Was uns noch fehlt ist etwas aus der Zukunft. Aller klar?"
"Aus der Zukunft?", stammelten Nik und Tamara fassungslos. "Wie soll denn das funktionieren?"
"Ganz einfach. Die nächste Tür führt euch in die Zukunft. Bringt irgendeinen beliebigen Gegenstand von dort mit. Allerdings muss es unbedingt etwas sein, was es heutzutage noch nicht gibt. Und vergesst dabei nicht nach dem zehnten Schlüssel zu suchen."
Mit weichen Knien öffneten die beiden Freunde die nächste Tür. Wie würde die Zukunft aussehen? Was für Überraschungen und Gefahren würden sie dort erwarten?






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